

Aktivisten werfen syrischen Regierungstruppen "Massaker" an mehr als 300 Alawiten vor
Bei den schweren Kämpfen im Westen Syriens gehen die Truppen der Übergangsregierung laut Aktivisten mit unverminderter Härte gegen mutmaßliche Anhänger des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad vor. Seit Donnerstag seien mindestens 340 Alawiten von Regierungskräften und verbündeten Gruppen hingerichtet worden, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstag mit. Sie sprach von "Massakern", denen auch Kinder zum Opfer gefallen seien. Die in London ansässige Organisation warf den regierungstreuen Kämpfern zudem Plünderungen vor.
In der mehrheitlich von Mitgliedern der religiösen Minderheit der Alawiten bewohnten Küstenregion um die Stadt Latakia finden seit Donnerstag die bisher schwersten Kämpfe zwischen Assad-treuen Milizen und Truppen der neuen syrischen Machthaber statt. Der religiösen Gruppe gehören auch der ins Exil geflohene Assad selbst und seine Familie an. Am Freitag verkündete die islamistische Übergangsregierung dann den Beginn eines "großangelegten" Einsatzes, der auf "die Überreste von Assads Milizen und ihre Unterstützer" ziele.
Insgesamt wurden laut der Beobachtungsstelle in den vergangenen Tagen mindestens 553 Menschen getötet, darunter 93 Sicherheitskräfte der Übergangsregierung und 120 Assad-treue Kämpfer.
Den Aktivisten zufolge beruhigte die Situation in Westsyrien am Samstag etwas. Sicherheitskräfte seien aber weiterhin in großer Zahl im Einsatz und erhielten Verstärkung. Die Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien. Die Nachrichtenagentur AFP konnte die Angaben zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtete, Regierungstruppen hätten einen "Angriff von Überresten des gestürzten Regimes" auf das nationale Krankenhaus in Latakia verhindert. Demnach wurden sowohl in Latakia, in der Stadt Dschableh und im weiter südlich gelegenen Banias Regierungseinheiten eingesetzt. Die Sicherheitskräfte sperrten zudem die Straßen, die in das Küstengebiet führen, um "Verstöße" zu verhindern, wie Sana weiter unter Berufung auf Verteidigungskreise berichtete.
Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa hatte die Anhänger von Assad am Freitag zur Kapitulation gedrängt. Die alawitischen Kämpfer müssten sich ergeben, "bevor es zu spät ist", sagte er in einer Ansprache im Onlinedienst Telegram. "Sie haben sich gegen alle Syrer gewandt und einen unverzeihlichen Fehler begangen. Der Gegenschlag ist gekommen."
Al-Scharaa erklärte bei Telegram zudem, die Übergangsregierung werde sich weiterhin dafür einsetzen, dass lediglich staatliche Vertreter über Waffen verfügen. Es werde keinen unkontrollierten Waffenbesitz mehr geben.
Der UN-Syriengesandte Geir Pedersen äußerte sich besorgt über "sehr beunruhigende Berichte über zivile Opfer". Er rief alle Seiten auf, von Aktionen abzusehen, die "Syrien destabilisieren und einen glaubwürdigen und integrativen politischen Übergang gefährden" könnten.
Auch die Bundesregierung äußerte sich "schockiert angesichts der zahlreichen Opfer in den westlichen Regionen Syriens". "Wir rufen alle Seiten auf, friedliche Lösungen, nationale Einheit, einen umfassenden politischen Dialog und eine Übergangsjustiz anzustreben, um die Spirale der Gewalt und des Hasses zu durchbrechen", erklärte das Auswärtige Amt am Freitag im Onlinedienst X.
Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten Anfang Dezember Damaskus erobert und die jahrzehntelange Herrschaft von Assad beendet. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land schützen zu wollen. Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Gemeinschaft - sowohl als religiöse Minderheit als auch wegen ihrer Treue zur Assad-Familie.
Die HTS ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, hervorgegangen. Sie wird vom Westen weitgehend als "Terrororganisation" eingestuft - auch wenn sie versucht, sich ein neues, gemäßigtes Image zu geben.
D.Johannsen--MP